Language of document : ECLI:EU:C:2017:1017

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 20. Dezember 2017(1)

Rechtssache C203/16 P

Dirk Andres (Verwalter der Heitkamp BauHolding GmbH), vormals Heitkamp BauHolding GmbH

gegen

Europäische Kommission

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Deutsche steuerrechtliche Bestimmungen über die Möglichkeit eines Verlustvortrags auf künftige Steuerjahre – Beschluss, mit dem eine Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird – Nichtigkeitsklage – Zulässigkeit – Art. 263 Abs. 4 AEUV – Individuelle Betroffenheit – Begriff der staatlichen Beihilfe – Selektiver Charakter – Referenzsystem – Vergleich – Rechtfertigung“






1.        Mit seinem Rechtsmittel beantragt der Verwalter der Heitkamp BauHolding GmbH (im Folgenden: Rechtsmittelführerin oder HBH), das Urteil des Gerichts in der Rechtssache T‑287/11(2) aufzuheben. Mit diesem Urteil hat das Gericht die Klage der Rechtsmittelführerin auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2011/527/EU der Kommission(3) über die staatliche Beihilfe abgewiesen, die Deutschland auf der Grundlage einer Regelung gewährt hatte, die im Fall der Sanierung in Schwierigkeiten befindlicher Unternehmen einen Verlustvortrag ermöglicht (im Folgenden: Sanierungsklausel).

2.        Das Rechtsmittel wirft zwei Fragen auf, die den Kernbereich des Beihilferechts der Union berühren.

3.        Die erste Frage ist prozessualer Art. Sie betrifft die Voraussetzungen der Klagebefugnis privater Kläger nach Art. 263 Abs. 4 AEUV: Ist die Rechtsmittelführerin von dem streitigen Beschluss im Sinne der auf das Urteil Plaumann(4) zurückgehenden Rechtsprechung individuell betroffen? Kann insbesondere in dem Fall, dass eine sich aus der beanstandeten nationalen Maßnahme ergebende Steuerersparnis nicht durch einen bestandskräftigen Steuerbescheid festgestellt worden ist, ein Unternehmen dennoch das Kriterium der individuellen Betroffenheit erfüllen? In dieser Hinsicht gibt die vorliegende Rechtssache dem Gerichtshof die Gelegenheit zur Befassung mit der möglicherweise nicht eindeutigen Abgrenzung zwischen klagebefugten und nicht klagebefugten Unternehmen im Kontext steuerlicher Maßnahmen.

4.        Die zweite Frage ist materieller Art. Sie betrifft eines der Tatbestandsmerkmale einer staatlichen Beihilfe. Wie ist der Begriff der Selektivität im besonderen Kontext von Maßnahmen der direkten Besteuerung auszulegen? Im Anschluss an das Urteil World Duty Free(5) kann der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache Hinweise zu den Parametern geben, die für die Bestimmung der normalen Steuerregelung (Referenzsystem) maßgebend sind. Diese Frage ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil das Referenzsystem den Maßstab darstellt, nach dem die Selektivität einer steuerlichen Maßnahme zu beurteilen ist(6).

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

5.        Zur Vorgeschichte des vorliegenden Rechtsstreits ist dem streitigen Beschluss und dem angefochtenen Urteil Folgendes zu entnehmen.

A.      Nationaler rechtlicher Rahmen

6.        Das Körperschaftsteuerrecht ergibt sich in Deutschland hauptsächlich aus dem Einkommensteuergesetz und dem Körperschaftsteuergesetz (im Folgenden: KStG).

7.        Nach § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes können die in einem Steuerjahr eingetretenen Verluste auf künftige Steuerjahre vorgetragen werden. Dies bedeutet, dass steuerpflichtige Einkünfte künftiger Steuerjahre durch eine Verrechnung mit Verlusten verringert werden können (im Folgenden: Regelung des Verlustvortrags). Nach § 8 Abs. 1 KStG besteht die Möglichkeit des Verlustvortrags auch für Unternehmen, die der Körperschaftsteuer unterliegen.

8.        Die Möglichkeit des Verlustvortrags führte dazu, dass allein aus Gründen der Steuerersparnis „Mantelunternehmen“ erworben wurden. Solche Unternehmen hatten bereits seit Langem jeden Geschäftsbetrieb eingestellt, besaßen aber immer noch Verlustvorträge.

9.        Um den Handel mit solchen Unternehmen zu unterbinden, wurde 1997 § 8 Abs. 4 KStG eingeführt. Nach dieser Regelung wurde die Möglichkeit des Verlustvortrags auf Unternehmen beschränkt, die mit dem Unternehmen, dem die Verluste entstanden waren, rechtlich und wirtschaftlich identisch waren (im Folgenden: Vorgängerregelung des Verfalls von Verlusten). Die Regelung enthielt zwar keine Definition des Begriffs „wirtschaftlich identisch“, wohl aber ein negatives und zwei positive Beispiele:

„a)      Wirtschaftliche Identität liegt dann nicht vor, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden und die Kapitalgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wieder aufnimmt.

b)      Wirtschaftliche Identität liegt dagegen vor, wenn die Zuführung neuen Betriebsvermögens allein der Sanierung des Geschäftsbetriebs dient, der den verbleibenden Verlustabzug verursacht hat, und die Körperschaft den Geschäftsbetrieb in einem nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verhältnisse vergleichbaren Umfang in den folgenden fünf Jahren fortführt.

c)      Wirtschaftliche Identität liegt auch dann vor, wenn der Erwerber, statt neues Betriebsvermögen zuzuführen, die Verluste ausgleicht, die bei dem Verluste verzeichnenden Unternehmen angefallen sind.“

10.      Die Ausnahme vom Verfall von Verlusten (Buchst. b und c) wurde allgemein als Sanierungsklausel bezeichnet, eine Klausel also, die die Sanierung in Schwierigkeiten befindlicher Unternehmen erlaubt.

11.      Im Januar 2008 wurde die Vorgängerregelung des Verfalls von Verlusten in § 8 Abs. 4 KStG aufgehoben. Ein neuer § 8c Abs. 1 wurde in das KStG eingefügt (im Folgenden: Regelung des Verfalls von Verlusten). Diese Bestimmung beschränkte die Möglichkeit des Verlustvortrags im Fall des Erwerbs von mindestens 25 % der Anteile an einer Körperschaft (im Folgenden: schädlicher Beteiligungserwerb). Werden insbesondere mindestens 25 %, aber höchstens 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder Stimmrechte an einer Körperschaft übertragen, so verfallen ungenutzte Verluste anteilig. Werden mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber übertragen, verfallen die Verluste vollständig.

12.      Die Regelung des Verfalls von Verlusten ließ zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens keine Ausnahmen zu. Die Steuerbehörden konnten jedoch im Fall des Erwerbs schädlicher Beteiligungen zum Zweck der Sanierung von Unternehmen in Schwierigkeiten im Einklang mit dem Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. März 2003 im Billigkeitswege Steuervergünstigungen gewähren.

13.      Im Juni 2009 wurde eine weitere Bestimmung in das KStG aufgenommen, nämlich § 8c Abs. 1a, wonach ein Verlustvortrag wieder möglich war, wenn der Erwerb eines Unternehmens in Schwierigkeiten zu Sanierungszwecken erfolgt (im Folgenden: Sanierungsklausel oder streitige Maßnahme).

14.      Insbesondere darf nach dieser Bestimmung eine erworbene Körperschaft auch im Fall eines schädlichen Beteiligungserwerbs einen Verlustvortrag vornehmen, wenn i) der Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung der Körperschaft erfolgt, ii) das Unternehmen zum Zeitpunkt des Erwerbs zahlungsunfähig oder überschuldet oder von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bedroht ist, iii) die wesentlichen Betriebsstrukturen erhalten werden, iv) innerhalb von fünf Jahren nach dem Beteiligungserwerb kein Branchenwechsel erfolgt und v) das Unternehmen zum Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs nicht den Geschäftsbetrieb eingestellt hatte.

15.      Die Sanierungsklausel trat am 10. Juli 2009 in Kraft. Sie gilt rückwirkend ab dem 1. Januar 2008, also dem Tag, an dem die Regelung des Verfalls von Verlusten in Kraft trat.

B.      Streitiger Beschluss

16.      Der streitige Beschluss wurde am 26. Januar 2011 erlassen. Nach seinem Art. 1 ist die auf der Grundlage von § 8c Abs. 1a KStG gewährte staatliche Beihilferegelung, die Deutschland unter Verletzung von Art. 108 Abs. 3 AEUV rechtswidrig gewährt habe, mit dem Binnenmarkt unvereinbar.

17.      Zum Vorliegen einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 107 AEUV war die Kommission insbesondere der Ansicht, dass die Sanierungsklausel eine Ausnahme von der allgemeinen Regel darstelle, die den Verfall von Verlusten vorsehe, die von Unternehmen, bei denen ein Anteilseignerwechsel stattgefunden habe, nicht genutzt worden seien. Die betreffende Klausel sei geeignet gewesen, den Unternehmen, die die Voraussetzungen erfüllt hätten, um in ihren Genuss zu kommen, einen selektiven Vorteil zu verschaffen. Diese Ungleichbehandlung sei durch die Natur oder den inneren Aufbau des Systems nicht gerechtfertigt. Ferner sollten dem streitigen Beschluss zufolge mit der Sanierungsklausel die durch die Finanz- und Wirtschaftskrise hervorgerufenen Probleme bewältigt werden, was ein außerhalb des Steuersystems liegendes Ziel darstelle.

18.      In den Art. 2 und 3 des streitigen Beschlusses wurden begrenzte Einzelbeihilfen, die bestimmten Begünstigten im Rahmen der Sanierungsregelung nach § 8c Abs. 1a gewährt worden waren, gleichwohl unter bestimmten Voraussetzungen für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt.

19.      In den Art. 4 und 6 des streitigen Beschlusses verpflichtete die Kommission Deutschland, die unvereinbaren Beihilfen, die im Rahmen der streitigen Maßnahme gewährt worden waren, zurückzufordern und ihr eine Liste der Begünstigten der Beihilferegelung zu übermitteln.

C.      Dem Rechtsmittelverfahren zugrunde liegender Sachverhalt

20.      Zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Beschlusses war HBH von Insolvenz bedroht. Am 20. Februar 2009 erwarb ihre Muttergesellschaft, die Heitkamp KG, die Anteile von HBH im Hinblick auf die Verschmelzung der beiden Gesellschaften. Zum Zeitpunkt des Vorgangs erfüllte die Rechtmittelführerin die Voraussetzungen für die Anwendung der Sanierungsklausel. Dies geht aus der verbindlichen Auskunft des Finanzamts Herne (Deutschland) vom 11. November 2009 (im Folgenden: verbindliche Auskunft) hervor. Ferner erhielt die Rechtsmittelführerin vom Finanzamt am 29. April 2010 einen Vorauszahlungsbescheid zur Körperschaftsteuer 2009, der die gemäß der Sanierungsklausel vorgetragenen Verluste berücksichtigte.

21.      Am 24. Februar 2010 setzte die Kommission die Bundesrepublik Deutschland von ihrem Beschluss in Kenntnis, wegen der streitigen Maßnahme das Verfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV zu eröffnen. Mit Schreiben vom 30. April 2010 wies das deutsche Bundesfinanzministerium die Finanzbehörden an, die Sanierungsklausel nicht anzuwenden.

22.      Am 27. Dezember 2010 wurde der Vorauszahlungsbescheid vom 29. April 2010 durch einen neuen Bescheid zur Körperschaftsteuer 2009 ersetzt. In diesem Bescheid wurde die Sanierungsklausel nicht berücksichtigt.

23.      Am 1. April 2011 erhielt HBH die Steuerbescheide zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer 2009. Da die Sanierungsklausel nicht angewandt wurde, konnte die Rechtsmittelführerin die am 31. Dezember 2008 bestehenden Verluste nicht vortragen.

24.      Am 19. April 2011 hob das Finanzamt die verbindliche Auskunft auf.

25.      Am 22. Juli 2011 übermittelte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission im Einklang mit dem streitigen Beschluss die Liste der Unternehmen, die durch die streitige Maßnahme begünstigt worden waren. Sie übermittelte der Kommission ferner eine Liste der Unternehmen, bei denen verbindliche Auskünfte über die Anwendung der Sanierungsklausel aufgehoben worden waren. Auf der letzteren Liste war HBH aufgeführt.

26.      Gegen die vorgenannten Vorauszahlungsbescheide und den Steuerbescheid legte die Rechtsmittelführerin zunächst beim Finanzamt Einspruch ein und erhob anschließend Klage bei den zuständigen nationalen Gerichten. Mit Beschluss vom 1. August 2011 ordnete das Finanzgericht Münster (Deutschland) die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide an.

II.    Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

27.      Mit am 6. Juni 2011 eingegangener Klageschrift erhob HBH vor dem Gericht Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.

28.      Mit am 16. September 2011 eingegangenem gesonderten Schriftsatz erhob die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit.

29.      Mit am 29. August 2011 eingegangenem Schriftsatz beantragte die Bundesrepublik Deutschland, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerin zugelassen zu werden. Mit Beschluss vom 5. Oktober 2011 ließ der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichts sie als Streithelferin zu.

30.      Mit Beschluss vom 21. Mai 2014 wurde die Entscheidung über die Einrede der Unzulässigkeit dem Endurteil vorbehalten.

31.      HBH stützte ihre Klage auf zwei Gründe: Zum einen sei die streitige Maßnahme nicht selektiv, und zum anderen sei sie durch die Natur oder den allgemeinen Aufbau des Systems gerechtfertigt.

32.      Zur Stützung ihrer Einrede der Unzulässigkeit machte die Kommission geltend, HBH sei nicht im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV klagebefugt. Sie trug insbesondere vor, dass HBH durch den streitigen Beschluss nicht individuell betroffen sei und dass der streitige Beschluss Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe. Außerdem habe HBH, da sie keine Begünstigte der Beihilfe sei, kein Rechtsschutzinteresse.

33.      Das Gericht wies im angefochtenen Urteil zunächst die Unzulässigkeitseinrede zurück. Es war insoweit der Ansicht, dass HBH durch den streitigen Beschluss unmittelbar und individuell betroffen sei. Im Weiteren wies das Gericht die von HBH erhobene Klage als unbegründet ab.

III. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Verfahrensbeteiligten

34.      HBH beantragt mit ihrem Rechtsmittel,

–        das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als mit ihm die Klage als unbegründet abgewiesen wurde (Nrn. 2 und 3 des Tenors des Urteils), und den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als mit ihm die Klage als unbegründet abgewiesen wurde (Nrn. 2 und 3 des Tenors des Urteils), und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Gericht zurückzuverweisen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

35.      Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und HBH die Kosten aufzuerlegen.

36.      Mit ihrem Anschlussrechtsmittel beantragt die Kommission,

–        Nr. 1 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben;

–        die im ersten Rechtszug erhobene Klage als unzulässig abzuweisen;

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen;

–        Nr. 3 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben und der Kommission ein Drittel ihrer Kosten aufzuerlegen;

–        HBH die Kosten des Verfahrens vor dem Gericht und dem Gerichtshof aufzuerlegen.

37.      HBH beantragt, das Anschlussrechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

38.      HBH, die Kommission und die deutsche Regierung haben in der Sitzung vom 19. Oktober 2017 mündlich vorgetragen.

IV.    Würdigung

39.      HBH stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wird geltend gemacht, dass das Gericht im angefochtenen Urteil gegen die Begründungspflicht verstoßen habe. Das angefochtene Urteil sei unzureichend oder widersprüchlich begründet. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wird geltend gemacht, dass das Gericht Art. 107 Abs. 1 AEUV fehlerhaft ausgelegt habe. Die Beurteilung der Selektivität der streitigen Maßnahme sei mit mehreren Rechtsfehlern behaftet.

40.      Nach Ansicht der Kommission sind beide Rechtsmittelgründe als unzulässig oder unbegründet zurückzuweisen.

41.      Die Kommission hat gegen das angefochtene Urteil auch Anschlussrechtsmittel eingelegt. Mit ihrem einzigen Rechtsmittelgrund macht sie geltend, das Gericht habe die Nichtigkeitsklage von HBH rechtsfehlerhaft zugelassen. HBH sei nämlich nicht klagebefugt: Sie sei von dem streitigen Beschluss nicht individuell betroffen. Demzufolge hätte die von HBH im ersten Rechtszug erhobene Klage als unzulässig zurückgewiesen werden müssen.

42.      Nach Ansicht von HBH ist das Anschlussrechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen.

43.      Aus prozessualen Gründen werde ich zunächst das Anschlussrechtsmittel behandeln.

A.      Das Anschlussrechtsmittel: Ist die Rechtsmittelführerin von dem streitigen Beschluss individuell betroffen?

44.      Die Kommission bringt vor, dass das Gericht den Begriff der individuellen Betroffenheit im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV im angefochtenen Urteil fehlerhaft ausgelegt habe(7). Indem es HBH die Klagebefugnis zuerkannt habe, weiche das angefochtene Urteil insbesondere von der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu diesem Kriterium im konkreten Kontext von Nichtigkeitsklagen gegen Beschlüsse der Kommission, mit denen Beihilferegelungen für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt würden, ab.

45.      Das angefochtene Urteil verwische die von der Rechtsprechung getroffene klare Unterscheidung zwischen tatsächlich Begünstigen einer Beihilfe, die klagebefugt seien, und potenziell künftig Begünstigten, die nicht klagebefugt seien. Zu beanstanden sei insbesondere, dass das Gericht sich in seiner Beurteilung zum Kriterium der individuellen Betroffenheit darauf gestützt habe, dass HBH ein „erworbenes Recht“ auf eine Steuerersparnis gehabt habe.

46.      HBH tritt dem entgegen.

47.      Zur Erläuterung der Gründe, aus denen HBH meines Erachtens klagebefugt ist, werde ich zunächst einige einleitende Bemerkungen zum Kriterium der individuellen Betroffenheit im konkreten Kontext des Beihilferechts voranstellen.

1.      Vorbemerkungen zum Kriterium der individuellen Betroffenheit im Beihilferecht

48.      Der Zugang zu den Gerichten und somit zu einer gerichtlichen Überprüfung bildet den Grundstein einer auf dem Grundsatz der Rechenschaftspflicht und auf der Rechtsstaatlichkeit beruhenden Rechtsordnung. Nicht ohne Grund hat daher die Frage der Klagebefugnis privater Kläger im Unionsrecht die Vorstellungskraft der juristischen Fachwelt in der Union seit (wenn nicht schon vor) dem richtungweisenden Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Plaumann(8) beschäftigt. Dieses Urteil legte die Grundlagen, die für die Auslegung der Voraussetzungen der Klagebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 AEUV immer noch maßgebend sind.

49.      Insoweit gilt die allgemeine Regel, dass, um gegen eine Handlung der Unionsorgane klagen zu können, ein privater Kläger, der nicht Adressat der betreffenden Handlung ist, dartun muss, dass er von dieser Handlung unmittelbar und individuell betroffen ist. Eine Ausnahme bildet nur der besondere Fall eines Rechtsakts mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV. Bei solchen Rechtsakten mit Verordnungscharakter reicht es aus, dass eine unmittelbare Betroffenheit vorliegt.

50.      Bei Beschlüssen im Bereich staatlicher Beihilfen muss jedoch eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit dargetan werden, wenn ein Unternehmen mit einer Nichtigkeitsklage gegen einen Beschluss der Kommission, mit dem eine staatliche Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird, vorgehen will(9).

51.      Der Gerichtshof verfolgt in Bezug auf die Voraussetzungen der Klagebefugnis für private Kläger einen strikten Ansatz. Das Kriterium der individuellen Betroffenheit ist besonders schwer zu erfüllen.

52.      Im Urteil Plaumann entschied der Gerichtshof, dass eine andere Person als der Adressat einer Entscheidung nur dann geltend machen kann, individuell betroffen zu sein, wenn diese Entscheidung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder wegen sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten einer derartigen Entscheidung(10).

53.      An seinem Ansatz hat der Gerichtshof ungeachtet dessen festgehalten, dass er zum Überdenken dieses Kriteriums aufgefordert worden ist und Alternativen hierzu vorgeschlagen worden sind(11).

54.      Das Kriterium ist auch an den besonderen Kontext des Rechts der staatlichen Beihilfen angepasst worden, in dem die Beschlüsse der Kommission sich nur an den betreffenden Mitgliedstaat richten.

55.      In diesem besonderen Kontext erfüllt ein Unternehmen, das gegen einen Beschluss der Kommission klagen will, mit dem eine Beihilferegelung verboten wird, das Kriterium der individuellen Betroffenheit nicht allein deshalb, weil es zu dem fraglichen Sektor gehört und ein durch diese Regelung potenziell Begünstigter ist(12). Insoweit hat der Gerichtshof erklärt, dass der Umstand, dass die Personen, für die eine Maßnahme gilt, mehr oder weniger genau bestimmbar sind, nicht automatisch bedeutet, dass sie als von dieser Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind(13).

56.      Im Einzelnen setzt die individuelle Betroffenheit eine zum Zeitpunkt des Erlasses des betreffenden Beschlusses bestehende Zugehörigkeit zu einer geschlossen, bestimmbaren Gruppe voraus(14). So verhält es sich vor allem bei tatsächlich Begünstigten einer Beihilfe, d. h. bei Unternehmen, die eine positive Leistung erhalten haben(15). Dies ist indes nicht der einzige derartige Fall. Der Gerichtshof hat nämlich im Bereich staatlicher Beihilfen unter bestimmten, besonderen Umständen auch Klagen von Wettbewerbern der Begünstigten zugelassen(16).

57.      Nach dem Ansatz des Gerichtshofs auf dem Gebiet des Beihilferechts ist das Kriterium der individuellen Betroffenheit im Sinne des Urteils Plaumann nämlich als erfüllt anzusehen, wenn der private Kläger aufgrund bestimmter, besonderer Eigenschaften individualisierbar ist. Diese Eigenschaften können sich u. a. auf die materiellen Auswirkungen der Beihilfe auf die Stellung des Wettbewerbers am Markt oder darauf beziehen, dass das Unternehmen tatsächlich eine positive Leistung aus staatlichen Mitteln erhalten hat.

58.      Im angefochtenen Urteil war HBH nach Ansicht des Gerichts im Licht der für HBH geltenden konkreten tatsächlichen und rechtlichen Situation von dem streitigen Beschluss im Sinne des Urteils Plaumann individuell betroffen. Das Gericht stützte diesen Schluss darauf, dass HBH bis Ende des Steuerjahrs (2009) die Sanierungsklausel zugutegekommen wäre. Die deutschen Behörden hätten bei der Anwendung der Klausel keinen Spielraum mehr gehabt. Insoweit legte das Gericht besondere Betonung darauf, dass HBH ein „erworbenes Recht“ gehabt habe, das von den deutschen Behörden durch die verbindliche Auskunft bestätigt worden sei. Dies unterscheide sie von allen anderen Unternehmen, die die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Sanierungsklausel erfüllt hätten(17).

59.      Nach Ansicht der Kommission hat das Gericht insoweit rechtsfehlerhaft entschieden. Entgegen dem Vorbringen der Kommission ist jedoch die Entscheidung darüber, ob ein privater Kläger von einem Beschluss der Kommission im Bereich der staatlichen Beihilfen individuell betroffen ist, keineswegs eine arithmetische Operation: Die Rechtsprechung verfährt nicht nach einer binären Logik, die auf einer Unterscheidung zwischen potenziell und tatsächlich Begünstigten einer Beihilfe beruhte. Wie ich im Folgenden verdeutlichen werde, kommt es nach den Kriterien des Urteils Plaumann – in ihrer Anwendung im beihilferechtlichen Kontext – maßgeblich darauf an, ob der Kläger aufgrund besonderer Merkmale von anderen Unternehmen unterschieden werden kann. Diese Merkmale können von Fall zu Fall verschieden sein.

2.      Bestimmung der individuellen Betroffenheit im Kontext steuerlicher Maßnahmen: der vorliegende Fall

60.      Wie der vorliegende Fall verdeutlicht, ist es eine umstrittene Frage, wie der Begriff des tatsächlich Begünstigten einer Beihilfe im steuerlichen Kontext auszulegen ist. Eine klare Abgrenzung zwischen potenziell und tatsächlich Begünstigten kann sich in diesem Kontext nämlich als besonders schwierig erweisen, kommt es doch bei steuerlichen Maßnahmen selten zur konkreten Zahlung einer Beihilfe.

61.      Die Kommission ist im Wesentlichen der Ansicht, dass diese Unterscheidung von zentraler Bedeutung sei, da nur tatsächlich Begünstigte, die tatsächlich eine Beihilfe erhalten hätten, das Kriterium der individuellen Betroffenheit erfüllten. Nur diese Begünstigten könnten gegen einen Beschluss, mit dem eine Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt werde, eine Nichtigkeitsklage erheben.

62.      Die Ansicht der Kommission wird durch die Rechtsprechung nicht gestützt. Nach meinem Eindruck versucht die Kommission vielmehr, der Rechtsprechung künstlich eine allgemeingültige Regel zu entnehmen, die es einfach nicht gibt.

63.      Zur Begründung ihrer Ansicht stützt die Kommission sich im Wesentlichen auf zwei Rechtssprechungslinien. Sie führt für ihre Auslegung die Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen Italien und Sardegna Lines(18) sowie Comitato „Venezia vuole vivere“(19) an. In beiden Rechtssachen erkannte der Gerichtshof an, dass Begünstigte individueller, im Rahmen einer Beihilferegelung gewährter Beihilfen, deren Rückforderung die Kommission angeordnet hat, aufgrund dieses Umstands im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV individuell betroffen sind. Ferner ist dem Urteil Italien und Sardegna Lines zu entnehmen, dass im Gegensatz zu diesen Begünstigten potenziell Begünstigte, die lediglich zu dem betreffenden Sektor gehören, nicht klagebefugt sind(20).

64.      Die Lehren, die aus diesen Urteilen gezogen werden können, sind meines Erachtens begrenzt. Einerseits bestätigen diese Urteile, dass die tatsächlich Begünstigten einer Beihilfe (d. h. diejenigen, die tatsächlich eine Beihilfe erhalten haben, deren Rückforderung angeordnet worden ist) die Möglichkeit haben müssen, gegen einen Beschluss, mit dem eine Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird, zu klagen. Andererseits erstreckt sich dieses Recht nicht auf Unternehmen, die lediglich potenziell künftig Begünstigte einer Beihilferegelung sind.

65.      Dabei ist der Grundgedanke, dass die Gruppe der tatsächlich Begünstigten – im Sinne des Urteils Plaumann – von Unternehmen, die keinen Vorteil aus der Beihilfe gezogen haben, unterschieden werden kann. Diese Unterscheidung ist sicherlich besonders hilfreich im Kontext von Beihilferegelungen, die mit einem Transfer staatlicher Mittel an die betreffenden Unternehmen einhergehen.

66.      Diesen Urteilen lassen sich jedoch meines Erachtens keine endgültigen Schlussfolgerungen für andere Unternehmen entnehmen, die unter besonderen Umständen von einem Beschluss, mit dem eine Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird, individuell betroffen sein könnten.

67.      Im Grunde ist die Unterscheidung zwischen tatsächlich und potenziell Begünstigten einfach ein terminologisches Werkzeug, das zur abstrakten Unterscheidung bestimmter Kategorien von Unternehmen eingesetzt wird, die von einem solchen Beschluss individuell betroffen oder nicht betroffen sind.

68.      Die relevanten rechtlichen Kriterien bleiben meines Erachtens diejenigen des Urteils Plaumann: Gehört der Kläger zu einer geschlossenen Gruppe, die im Licht besonderer Eigenschaften, die sie von anderen unterscheidet, bestimmbar ist?

69.      So betrachtet ist klar, dass für diese Prüfung auch andere Eigenschaften von Bedeutung sein können als die der Stellung des Klägers als tatsächlich Begünstigter einer Beihilfe. Welches diese Eigenschaften sind, lässt sich natürlich nicht abstrakt klären. Diese Prüfung ist vielmehr von vornherein sehr einzelfallabhängig.

70.      Vor diesem Hintergrund fällt es mir schwer, der Ansicht der Kommission zu folgen, dass die Urteile Belgien und Forum 187(21) sowie FrieslandCampina(22) für den vorliegenden Fall nicht herangezogen werden könnten. Diese Urteile, in denen es um Übergangsmaßnahmen im Zusammenhang mit Beihilfen ging, die für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt worden waren, verdeutlichen die Auffassung des Gerichtshofs, dass eine Klagebefugnis solchen Klägern zuzuerkennen ist, die die notwendigen Schritte unternommen haben, um die beanstandete nationale Maßnahme in Anspruch nehmen zu können, ohne dass sie tatsächlich einen Vorteil erhalten haben(23).

71.      Entgegen der Ansicht der Kommission kann ich auch nicht erkennen, warum die Urteile Stichting Woonpunt(24) und Stichting Woonlinie(25) vorliegend nicht von Bedeutung sein sollen. In diesen Urteilen kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die individuelle Betroffenheit sich daraus ergebe, dass die Klägerinnen vor Erlass der betreffenden Entscheidung ein Recht auf Nutzung eines Steuervorteils erworben hatten, der später für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wurde(26).

72.      Angesichts der Natur der hier streitigen Maßnahme liegt nahe, dass das Gericht sich von den vorgenannten Urteilen hat leiten lassen. Zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Beschlusses erfüllte HBH die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendung der Sanierungsklausel nämlich nicht nur abstrakt. Sie hatte auch eine verbindliche Auskunft und einen Vorauszahlungsbescheid zur Körperschaftsteuer 2009 erhalten, in denen die nach der Sanierungsklausel vorgetragenen Verluste berücksichtigt wurden. Dies bezeichnet das Gericht als „erworbenes Recht“.

73.      Gerade durch die verbindliche Auskunft und den Vorauszahlungsbescheid unterscheidet sich die Lage von HBH grundlegend von Unternehmen, die lediglich die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendung der Sanierungsklausel erfüllen(27). Daher erfüllt die Rechtsmittelführerin das Kriterium der individuellen Betroffenheit.

74.      Die Wortwahl des Gerichts ist sicherlich unglücklich. Wie das Vorbringen der Kommission verdeutlicht, könnten aufgrund dieser Wortwahl unbeabsichtigte Parallelen zum Grundsatz des Vertrauensschutzes nach dem Unionsrecht gezogen werden. Nach meinem Verständnis soll die Formulierung „erworbenes Recht“ jedoch lediglich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände wiedergeben, die HBH in dieser konkreten Rechtssache im Hinblick auf die individuelle Betroffenheit im Sinne des Urteils Plaumann von anderen Unternehmen unterscheiden.

75.      Ich weise darauf hin, dass es im steuerlichen Kontext besonders schwierig sein kann, genau zu bestimmen, wann ein Unternehmen tatsächlich eine Beihilfe erhalten hat. Den maßgebenden Zeitpunkt festzulegen, ist in gewissem Maße willkürlich. Ist dies der Zeitpunkt, zu dem die verbindliche Auskunft erteilt wurde, oder der Zeitpunkt, zu dem HBH den Vorauszahlungsbescheid erhielt? Oder ist dies, wie die Kommission meint, der Zeitpunkt, zu dem die Steuerersparnis durch einen bestandskräftigen Steuerbescheid festgestellt wird (unter Berücksichtigung des Umstands, dass ein solcher Bescheid mehrere Jahre nach Ende des betreffenden Steuerjahrs ergehen kann)? Oder ist es irgendein anderer Zeitpunkt?

76.      Im Rahmen der Prüfung, ob ein Unternehmen von einem Beschluss, mit dem eine Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird, individuell betroffen ist, ist die Wahl einer dieser Möglichkeiten – oder auch irgendeiner anderen – ganz zweifellos mit Unsicherheiten und Willkür verbunden.

77.      Angesichts dieser Unsicherheiten sollte die Frage, ob die Klägerin tatsächlich eine Beihilfe erhalten hat, hier nur von sekundärer Bedeutung sein. Vielmehr ist, wie aus der Rechtsprechung klar hervorgeht, das Kriterium der individuellen Betroffenheit erfüllt, wenn der Kläger aufgrund besonderer Eigenschaften von anderen Unternehmen unterschieden werden kann(28). Eben dies ist bei HBH der Fall.

78.      Aus allen diesen Gründen ist das angefochtene Urteil meines Erachtens in Bezug auf die Prüfung der individuellen Betroffenheit im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV nicht zu beanstanden. Dementsprechend sollte das Anschlussrechtsmittel der Kommission als unbegründet zurückgewiesen werden.

B.      Das Rechtsmittel: Hat das Gericht in der streitigen Maßnahme fehlerhaft die Gewährung eines selektiven Vorteils für in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen gesehen?

79.      HBH macht zwei Rechtsmittelgründe geltend. Diese stehen miteinander in einem untrennbaren Zusammenhang.

80.      Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wendet sich die Rechtsmittelführerin gegen die Begründung des Gerichts. Das angefochtene Urteil leide an Verfahrensfehlern im Hinblick auf die Begründungspflicht, weil die Begründung des Gerichts unzureichend oder widersprüchlich sei, was 1) die Bestimmung des Referenzsystems, 2) die Beurteilung der rechtlichen und tatsächlichen Situation sanierungsbedürftiger Unternehmen und der Sanierungsklausel als „allgemeine Maßnahme“ sowie 3) die Rechtfertigung der streitigen Maßnahme angehe.

81.      Der zweite Rechtsmittelgrund ist gegen dieselben Aspekte des Urteils gerichtet, jedoch aus materieller Sicht. Mit diesem Rechtsmittelgrund macht HBH geltend, dass das angefochtene Urteil gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV verstoße, weil Rechtsfehler oder eine Verfälschung des nationalen Rechts im Hinblick auf 1) die Bestimmung des Referenzsystems, 2) die Beurteilung der rechtlichen und tatsächlichen Situation sanierungsbedürftiger Unternehmen und der Sanierungsklausel als „allgemeine Maßnahme“ sowie 3) die Rechtfertigung der streitigen Maßnahme vorlägen.

82.      Die Kommission tritt dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin entgegen. Was den ersten Rechtsmittelgrund betreffend die Begründung angeht, ist sie im Wesentlichen der Ansicht, dass dieser Grund auf einem Missverständnis des angefochtenen Urteils beruhe. Den zweiten Rechtsmittelgrund hält die Kommission dagegen für unzulässig. Hilfsweise macht sie geltend, dieser Rechtsmittelgrund sei unbegründet.

83.      Aufgrund der Überschneidung zwischen den beiden Rechtsmittelgründen werde ich sie zusammen und schrittweise behandeln. Dies ist insbesondere deshalb geboten, weil mit dem ersten Rechtsmittelgrund nicht das Fehlen einer Begründung geltend gemacht, sondern mittelbar die materielle Beurteilung des Gerichts in Frage gestellt wird.

84.      Erstens werde ich das Vorbringen zur Bestimmung des Referenzsystems prüfen. Aus den unten dargestellten Gründen ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes meines Erachtens begründet. Daher sollten das angefochtene Urteil und der streitige Beschluss aufgehoben werden, soweit das Referenzsystem zur Bewertung der Selektivität der streitigen Maßnahme fehlerhaft bestimmt worden ist.

85.      Für den Fall, dass der Gerichtshof mit meiner Beurteilung des ersten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes nicht übereinstimmen sollte, werde ich auch die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten weiteren Argumente kurz prüfen.

86.      Zweitens werde ich daher die Argumente zur Beurteilung der rechtlichen und tatsächlichen Situation sanierungsbedürftiger Unternehmen und der Sanierungsklausel als „allgemeine Maßnahme“ prüfen. Drittens und abschließend werde ich die zur Rechtfertigung der streitigen Maßnahme vorgetragenen Argumente prüfen.

87.      Zuvor sind jedoch einige einleitende Bemerkungen zum Begriff der Selektivität im besonderen steuerlichen Kontext angezeigt.

1.      Vorbemerkungen zur Beurteilung der Selektivität im Kontext von Maßnahmen der direkten Besteuerung

a)      Begriff der Selektivität – Beurteilung in drei Schritten

88.      Zunächst sind einige Ausführungen zu dem den Begriff der Selektivität bestimmenden Grundgedanken sowie zu seinem Zweck sinnvoll. Hilfreich ist ferner, den für die Beurteilung der Selektivität maßgeblichen Prüfungsrahmen und die sich bei der Anwendung dieses Rahmens im Kontext von Maßnahmen der direkten Besteuerung ergebenden Schwierigkeiten in Erinnerung zu bringen.

89.      Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Dementsprechend müssen vier kumulative Kriterien erfüllt sein, damit eine Maßnahme eines Mitgliedstaats in den Geltungsbereich dieser Bestimmung fällt. Erstens muss ein Vorteil gegeben sein. Zweitens muss dieser Vorteil selektiv sein. Drittens muss eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Maßnahme vorliegen. Viertens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

90.      Im steuerlichen Kontext ist die Frage, was einen selektiven Vorteil darstellt, wohl die umstrittenste.

91.      Allgemein gesprochen sollen mit dem Kriterium der Selektivität Maßnahmen ermittelt werden, die bestimmte Unternehmen (Steuerpflichtige) oder Produktionszweige gegenüber anderen begünstigen.

92.      Ein Steuervorteil aus einer unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren „allgemeinen Maßnahme“ stellt keine staatliche Beihilfe dar, denn eine solche Maßnahme ist nicht selektiv. Dagegen kann eine Maßnahme, die die Begünstigten finanziell besser stellt als die übrigen Steuerpflichtigen, den Empfängern einen selektiven Vorteil verschaffen und folglich eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen(29).

93.      Daher ist für die Prüfung der Selektivität der Vergleich der Unternehmen entscheidend. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, muss festgestellt werden, ob eine Maßnahme bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV gegenüber anderen Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, begünstigt(30).

94.      Bevor jedoch geprüft werden kann, ob Begünstigte und andere Unternehmen sich in einer vergleichbaren Situation befinden, ist das Referenzsystem zu bestimmen.

95.      Das in jüngerer Zeit ergangene Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache World Duty Free(31) benennt die Parameter für die Beurteilung der Selektivität einer steuerlichen Maßnahme. Der Gerichtshof hat die Prüfung der Selektivität steuerlicher Maßnahmen insoweit in drei Schritte unterteilt.

96.      Dem Gerichtshof zufolge ist für die Einstufung einer steuerlichen Maßnahme als selektiv die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder normale Steuerregelung zu ermitteln (erster Schritt). Sodann ist darzutun, dass die in Rede stehende steuerliche Maßnahme vom allgemeinen System insoweit abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (zweiter Schritt)(32). Ist dies der Fall, ist zu prüfen, ob diese Unterscheidung insoweit gerechtfertigt ist, als sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems, in das sie sich einfügt, ergibt (dritter Schritt)(33).

97.      Im Einzelnen hat der Gerichtshof erläutert, dass die Voraussetzung der Selektivität erfüllt ist, wenn die Kommission dartun kann, dass die beanstandete Maßnahme von der in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden allgemeinen oder „normalen“ Steuerregelung abweicht und somit durch ihre konkreten Wirkungen eine Ungleichbehandlung von Wirtschaftsteilnehmern einführt, obwohl sich die durch den Steuervorteil begünstigten Wirtschaftsteilnehmer und diejenigen, die von ihm ausgeschlossen sind, im Hinblick auf das mit dieser Steuerregelung dieses Mitgliedstaats verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden(34).

98.      Das vorliegende Rechtsmittelverfahren verdeutlicht die Schwierigkeiten, die mit der Bestimmung der (materiellen) Selektivität einer steuerlichen Maßnahme anhand dieser Parameter verbunden sind. Es beleuchtet insbesondere die Schwierigkeiten, die im Rahmen des ersten Schritts mit der Bestimmung des Referenzsystems anhand objektiver Kriterien verbunden sind(35). Deshalb ist es auch sinnvoll, mit einigen einleitenden Bemerkungen auf die Kriterien einzugehen, die für die Bestimmung des Referenzsystems maßgeblich sind, bevor auf das Rechtsmittel näher einzugehen ist.

b)      Die zentrale Bedeutung des Referenzsystems für die Prüfung der Selektivität und die zur Bestimmung dieses Systems anzuwendenden Kriterien

99.      Mit dem Kriterium der Selektivität sollen Maßnahmen bestimmt werden, die eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Unternehmen mit sich bringen, die sich in einer rechtlich und faktisch vergleichbaren Situation befinden. Ein solcher Vergleich ist jedoch nur sinnvoll, wenn er anhand eines bestimmten Maßstabs vorgenommen wird. Deshalb ist die richtige Bestimmung eines Referenzsystems für die Prüfung der Selektivität von zentraler Bedeutung(36).

100. Gleichwohl schweigt die Rechtsprechung des Gerichtshofs dazu, wie das relevante Referenzsystem bestimmt werden soll. Der Gerichtshof hat lediglich erklärt, dass als das Referenzsystem die im betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder „normale“ Steuerregelung anzusehen ist(37). Als Prüfungskriterium ist diese Aussage bemerkenswert wenig hilfreich.

101. Die Zurückhaltung des Gerichtshofs, genaue Kriterien zu entwickeln, überrascht indes nicht. Denn die Bestimmung des Referenzsystems bedingt, dass das allgemeine Niveau der Besteuerung bestimmt werden muss, dem Unternehmen in einem nationalen Steuersystem unterliegen. Im Gegensatz zu anderen Formen von Beihilferegelungen ist die genaue Bestimmung einer solchen allgemeinen und allgemeingültigen Regelung im steuerlichen Kontext mit Unsicherheiten behaftet. Angesichts der Komplexität eines jeden Steuersystems und der Variablen, die mit der Bestimmung der steuerlichen Belastung von Unternehmen verbunden sind, erscheint es unmöglich, mit Sicherheit zu wissen, welches die „normale Situation“ ist.

102. Das ist bei positiven Leistungen anders. Beispielsweise ist es bei vergünstigten Darlehenskonditionen oder Abbaugenehmigungen, die nur einer begrenzten Zahl von Unternehmen zugutekommen, relativ einfach, die „normale Situation“ zu ermitteln, die bestand, bevor die beanstandete Maßnahme ergriffen wurde.

103. Die Kommission beschreibt das Referenzsystem dahin gehend, dass es sich aus kohärenten Vorschriften zusammensetze, die auf der Grundlage objektiver Kriterien generell auf alle Unternehmen Anwendung fänden, die definitionsgemäß in seinen Anwendungsbereich fielen: In diesen Vorschriften seien nicht nur der Anwendungsbereich des Systems, sondern auch die Voraussetzungen für seine Anwendung, die Rechte und Pflichten der ihm unterliegenden Unternehmen und die technischen Aspekte seiner Funktionsweise festgelegt. Im besonderen Fall von steuerlichen Maßnahmen setze sich das Bezugssystem aus Elementen wie der Steuerbemessungsgrundlage, den Steuerpflichtigen, dem Steuertatbestand und den Steuersätzen zusammen(38).

104. Unter diese Beschreibung könnten wohl unzählige steuerliche Vorschriften, auch in Verbindung miteinander, fallen.

105. Die Kommission ist hierzu in der mündlichen Verhandlung befragt worden. Auf die Frage nach den zur Bestimmung des Referenzsystems anzuwendenden Kriterien hat die Kommission nicht zu erläutern vermocht, auf welcher Grundlage sie das Referenzsystem bestimmt. Sie hat diesen Vorgang als eine Suche nach dem Grundgedanken des Systems bezeichnet. Die Antwort der Kommission scheint bestenfalls zu bestätigen, dass die Bestimmung des Referenzsystems im Einzelfall tatsächlich nicht anhand objektiver Kriterien erfolgt.

106. Allerdings lassen sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs bestimmte Schlussfolgerungen entnehmen. Eine Durchsicht dieser Rechtsprechung legt nämlich nahe, dass bei der Bestimmung des Referenzsystems einem breit angelegten Ansatz der Vorzug zu geben ist. Ein solcher Ansatz berücksichtigt alle relevanten Rechtsvorschriften in ihrer Gesamtheit oder den weitestmöglichen Bezugsrahmen(39). Außerdem geht aus der Rechtsprechung hervor, dass die Bestimmung des Referenzsystems nicht formalistisch erfolgen soll(40).

107. Ich weise beispielsweise darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil World Duty Free die Ansicht der Kommission bestätigt hat, dass der relevante Maßstab nicht die Regelungen für ausländische Investitionen, sondern das spanische Körperschaftsteuersystem in seiner Gesamtheit war. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs war die Kommission zu dem Schluss gekommen, dass einer bestimmten Gruppe von Unternehmen ein selektiver Vorteil gewährt wurde. In Spanien steuerpflichtige Unternehmen, die Beteiligungen an ausländischen Unternehmen in Höhe von mindestens 5 % erwarben, wurden gegenüber in Spanien steuerpflichtigen Unternehmen, die die gleichen Investitionen in inländische Gesellschaften vornahmen, begünstigt, obwohl diese beiden Gruppen von Unternehmen sich im Hinblick auf das mit dem allgemeinen spanischen Unternehmensbesteuerungssystem verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befanden(41).

108. Andererseits hat der Gerichtshof im Urteil Gibraltar bestätigt, dass das Referenzsystem sich aus mehreren verschiedenen steuerlichen Regelungen zusammensetzen kann. Auf dieser Grundlage war die Kommission zu dem Schluss gekommen, dass bestimmten Unternehmen (Offshore-Unternehmen) ein selektiver Vorteil gewährt worden war. Dies war ungeachtet dessen der Fall, dass diese Unternehmen formell der gleichen steuerlichen Belastung unterlagen wie andere Unternehmen. In jener Rechtssache bestätigte der Gerichtshof auch, dass bei der Bestimmung des Referenzsystems der Regelungstechnik keine Bedeutung zuzumessen ist(42).

109. Einfach ausgedrückt ist der Rechtsprechung zu entnehmen, dass der Gerichtshof einen Ansatz verfolgt, mit dem die Gesamtheit der Regelungen bestimmt werden soll, die die steuerliche Belastung der Unternehmen beeinflussen. Dieser Ansatz ist meines Erachtens gerechtfertigt. Er stellt sicher, dass die Selektivität einer steuerlichen Maßnahme anhand eines Rahmens beurteilt wird, der alle relevanten Bestimmungen einbezieht, und nicht anhand von Bestimmungen, die aus einem breiteren rechtlichen Rahmen künstlich herausgelöst worden sind. Er stellt auch sicher, dass die Schritte eins und zwei bei der Prüfung der Selektivität nicht miteinander vermengt werden. Denn bei einem engeren Ansatz müssten die Unternehmen bestimmt werden, die sich in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Situation befinden. Im Blick zu behalten ist insoweit, dass die Bestimmung des Referenzsystems dem Vergleich der Unternehmen vorauszugehen hat.

110. Im Licht dieser Erwägungen werde ich das vorliegende Rechtsmittel prüfen.

2.      Schritt eins: Bestimmung des Referenzsystems

a)      Vorbringen der Parteien

111. Mit dem ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht HBH eine unzureichende oder widersprüchliche Begründung des Gerichts in Bezug auf die Bestimmung des Referenzsystems(43) geltend. Denn im angefochtenen Urteil werde die Selektivität der Sanierungsklausel in Bezug auf die Regelung des Verfalls von Verlusten beurteilt, obwohl das Gericht anerkannt habe, dass die streitige Maßnahme anhand einer allgemeineren Regelung, nämlich der Regelung des Verlustvortrags, zu beurteilen sei(44).

112. Die Kommission hält die Begründung des Gerichts für schlüssig und keineswegs widersprüchlich.

113. Mit dem ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes macht HBH eine falsche Auslegung von Art. 107 Abs. 1 AEUV aufgrund der Fehler bei der Bestimmung des Referenzsystems(45) geltend. Die Rechtsmittelführerin bringt ferner vor, das Gericht habe die Schritte eins und zwei der Selektivitätsprüfung im angefochtenen Urteil(46) miteinander vermengt.

114. Mit ihrem Hauptvorbringen macht die Kommission geltend, dass die von der Rechtsmittelführerin vorgetragenen Argumente sich auf Tatsachenfeststellungen bezögen und als unzulässig zurückzuweisen seien. Hilfsweise meint sie, diese Argumente seien unbegründet. Die von HBH vertretene Ansicht, dass die Regelung des Verlustvortrags als die für die Prüfung der Selektivität der Sanierungsklausel relevante Regelung anzusehen gewesen sei, finde in den Prozessakten keinerlei Stütze.

115. Ich werde zunächst auf die Frage der Zulässigkeit eingehen.

b)      Würdigung

1)      Die Bestimmung des Referenzsystems ist eine im Rechtsmittelverfahren überprüfbare Rechtsfrage

116. Wie in Rechtsmittelverfahren vor dem Gerichtshof zur Gewohnheit geworden, bestreitet die Kommission die Zulässigkeit des Vorbringens der Rechtsmittelführerin. Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zur Bestimmung des Referenzsystems sei einer Überprüfung durch den Gerichtshof nicht zugänglich, denn es beziehe sich auf Tatsachenfeststellungen.

117. Das Vorbringen der Kommission ist ohne Weiteres zurückzuweisen.

118. Zwar liegt nach Art. 58 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 256 AEUV die ausschließliche Zuständigkeit für die Feststellung der Tatsachen und deren Würdigung beim Gericht. Rechtsmittel zum Gerichtshof können somit in der Tat nur Rechtsfragen betreffen. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Bestimmung des Inhalts des nationalen Rechts Teil der Tatsachenwürdigung, die einer Überprüfung im Rechtsmittelverfahren nicht zugänglich ist(47).

119. Der Gerichtshof kann jedoch die rechtliche Qualifizierung dieser Tatsachen und die rechtlichen Folgen, die das Gericht aus ihnen abgeleitet hat, überprüfen(48). Er kann auch darüber entscheiden, ob das nationale Recht verfälscht wurde, soweit die behauptete Verfälschung ohne eine neue Tatsachen- oder Beweiswürdigung festgestellt werden kann(49).

120. Das Vorbringen von HBH zur Bestimmung des Referenzsystems kann einer Überprüfung im Rechtsmittelverfahren nicht entzogen sein.

121. Insofern darf nicht übersehen werden, dass die Parteien über den Inhalt des nationalen Rechts einig sind. Uneinig sind sie dagegen über die Ziele dieser Rechtsvorschriften. Die Uneinigkeit besteht auch in Bezug auf die rechtliche Qualifizierung dieser Rechtsvorschriften im Licht des Beihilferechts der Union. Streitig ist insbesondere in Bezug auf den ersten Schritt der Selektivitätsprüfung die rechtliche Würdigung der Selektivität, die das Gericht aufgrund der einschlägigen Tatsachen vorgenommen hat.

122. Die richtige Auslegung des Begriffs der Selektivität ist eindeutig eine Rechts- und keine Tatsachenfrage.

123. Dem von der Kommission vertretenen starren Ansatz zu folgen, würde bedeuten, dass eine Frage von grundlegender Bedeutung für die Prüfung der Selektivität der Zuständigkeit des Gerichtshofs systematisch entzogen wäre. Angesichts dessen, dass die Bestimmung des Referenzsystems entscheidende Auswirkungen auf die beiden folgenden Schritte der Selektivitätsprüfung hat, ist einem solchen Ansatz meines Erachtens nicht zu folgen. Wie erläutert, bildet das Referenzsystem gerade den Maßstab, an dem die Selektivität einer steuerlichen Maßnahme zu beurteilen ist.

2)      Das Gericht hat das Referenzsystem fehlerhaft bestimmt

i)      Der rechtliche Rahmen, in dem die streitige Maßnahme Anwendung findet, und die Begründung des Gerichts

124. Der rechtliche Rahmen, zu dem die Sanierungsklausel gehört, umfasst drei Regelungskomplexe.

125. Erstens findet die Regelung des Verlustvortrags nach § 8 Abs. 1 KStG auf alle Unternehmen Anwendung. Sie spiegelt den Grundsatz wider, dass Steuerpflichtige nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden. Zweitens ist die Regelung des Verfalls von Verlusten nach § 8c Abs. 1 KStG eine Ausnahme von dieser Regel. Denn sie nimmt den schädlichen Erwerb von Beteiligungen (mindestens 25 %) vom Geltungsbereich der allgemeinen Regel aus. Drittens schließt die Sanierungsklausel des Art. 8c Abs. 1a KStG bestimmte konkrete Fälle vom Anwendungsbereich der Ausnahme (nämlich von der Regelung des Verfalls von Verlusten) aus. Nach dieser Regelung fallen die darin definierten Fälle (nämlich die Sanierung in Schwierigkeiten befindlicher Unternehmen) nicht mehr unter die Regelung des Verfalls von Verlusten. Diese Fälle werden wieder von der allgemeineren Regel erfasst, die einem Unternehmen den Verlustvortrag gestattet.

126. Angesichts der gewählten Regelungstechnik hängt die Selektivität der streitigen Maßnahme stark von der Perspektive ab. Je nachdem, ob die allgemeine Regelung des Verlustvortrags oder die Ausnahme von dieser Regel, nämlich die Regelung des Verfalls von Verlusten, als Maßstab für die Prüfung der Selektivität der Sanierungsklausel herangezogen wird, wird das Ergebnis zur Selektivität nämlich sehr unterschiedlich aussehen(50).

127. Wenn insbesondere die Regelung des Verfalls von Verlusten aus dem breiteren rechtlichen Kontext der Regelung des Verlustvortrags herausgelöst wird, wird die Sanierungsklausel zu einer Ausnahme von dieser Regel. Wird dagegen die Regelung des Verlustvortrags in das Referenzsystem einbezogen, stellt die Sanierungsklausel keine offensichtliche Abweichung vom Referenzsystem mehr dar, die geeignet wäre, bestimmten Unternehmen einen selektiven Vorteil zu verschaffen. Sie wird vielmehr zu einem immanenten Bestandteil des Referenzsystems selbst.

128. In dieser Hinsicht ist das angefochtene Urteil kein Musterbeispiel an Klarheit.

129. Insbesondere folgende Aussage könnte zu Verwirrung führen: „[Es] ist festzustellen, dass die Regel des Verfalls von Verlusten ebenso wie die Regel des Verlustvortrags zum rechtlichen Rahmen der streitigen Maßnahme gehört. Mit anderen Worten besteht der im vorliegenden Fall relevante rechtliche Rahmen aus der allgemeinen Regel des Verlustvortrags, die durch die Regel des Verfalls von Verlusten eingeschränkt wird, und in eben diesem Rahmen ist zu prüfen, ob die streitige Maßnahme Differenzierungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern schafft, die sich in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Lage … befinden.“(51)

130. Für sich betrachtet könnte diese Aussage (wie es die Rechtsmittelführerin tut) dahin ausgelegt werden, dass das Gericht die Regelung des Verlustvortrags und die Regelung des Verfalls von Verlusten zusammen als das Referenzsystem angesehen habe. Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, mit dem eine unzureichende oder widersprüchliche Begründung geltend gemacht wird, beruht meines Erachtens jedoch auf einem unrichtigen Verständnis des angefochtenen Urteils.

131. Bei genauerer Betrachtung des angefochtenen Urteils zeigt sich, dass das Gericht davon ausging, dass die Regelung des Verfalls von Verlusten das Referenzsystem darstelle.

132. Zwar erkannte das Gericht das Bestehen einer allgemeineren Regelung (der Regelung des Verlustvortrags) an. Es stellte auch fest, dass das von der Kommission bestimmte Referenzsystem eine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel bilde. Im Weiteren erläuterte es jedoch, warum seiner Ansicht nach die Regelung des Verfalls von Verlusten das relevante Referenzsystem für die Prüfung der Selektivität der Sanierungsklausel darstelle.

133. Das Gericht erläuterte insbesondere, dass die Regelung des Verfalls von Verlusten die Nutzung der Regelung des Verlustvortrags beim Erwerb einer Beteiligung von mindestens 25 % des gezeichneten Kapitals einschränke und sie beim Erwerb von mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals ausschließe. Diese Regelung gelte demnach systematisch für alle Fälle eines Wechsels der Anteilseigner, die 25 % oder mehr der Anteile halten, unbeschadet der Art oder der Merkmale der betreffenden Unternehmen(52). Das Gericht stellte ferner fest, dass die Sanierungsklausel ihrem Wortlaut nach eine Ausnahme von der Regelung des Verfalls von Verlusten sei und nur in genau definierten Situationen gelte, die unter die letztgenannte Regelung fielen(53). Auf dieser Grundlage kam es zu dem Schluss, dass die Kommission zutreffend die Regelung des Verfalls von Verlusten als das Referenzsystem angesehen habe(54).

134. Insoweit kann ich im angefochtenen Urteil keinen Fehler in Bezug auf die Begründungspflicht erkennen. Allerdings weist das angefochtene Urteil meines Erachtens einen materiellen Rechtsfehler in Bezug auf die Bestimmung des Referenzsystems auf. Dieser Fehler stellt eine fehlerhafte Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV dar.

135. Um zu verstehen, warum das so ist, müssen auch die im streitigen Beschluss dargelegten Gründe in den Blick genommen werden. Denn das Gericht hat sich der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung des rechtlichen Rahmens, in dem die Sanierungsklausel Anwendung findet, angeschlossen.

ii)    Das Gericht hat das Referenzsystem im Licht der angewandten Gesetzgebungstechnik bestimmt und hierdurch die Schritte eins und zwei miteinander vermengt

136. Im streitigen Beschluss stellte die Kommission zunächst den nationalen rechtlichen Rahmen und die hieran vorgenommenen Änderungen in chronologischer Reihenfolge dar und erläuterte dann, dass die in § 8c Abs. 1a KStG niedergelegte Sanierungsklausel sich von der vorherigen Regelung in einem wesentlichen Aspekt unterscheide. Dieser Aspekt sei für die beihilferechtliche Würdigung von entscheidender Bedeutung(55).

137. Die Kommission erläuterte insbesondere, dass nach § 8c Abs. 1 KStG ein Unternehmen überhaupt keinen Verlustvortrag vornehmen könne, wenn mehr als die Hälfte seiner Anteile übertragen würden, es sei denn, die Sanierungsklausel sei anwendbar. Die allgemeine Regel besage daher, dass bei einem wesentlichen Anteilseignerwechsel die Verluste untergingen, und die in § 8c Abs. 1a KStG niedergelegte Sanierungsklausel sei die Ausnahme zur allgemeinen Regel(56).

138. Dagegen habe nach der vorherigen Regelung des Verfalls von Verlusten (nach dem aufgehobenen § 8 Abs. 4 KStG) die allgemeine Regel darin bestanden, dass Verlustvorträge bei einem wesentlichen Anteilseignerwechsel weiterhin möglich gewesen seien, sofern eine wirtschaftliche Identität des Unternehmens vorgelegen habe. Diese Ausnahme habe darauf abgezielt, Missbrauch (z. B. in Form von Mantelkäufen) zu verhindern(57).

139. Auf den ersten Blick ist die Erläuterung dafür, dass die Regelung des Verfalls von Verlusten als das Referenzsystem anzusehen sein soll, ansprechend. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass diese Erläuterung auf einer Unterscheidung ohne Unterschied beruht.

140. Der einzige Unterschied zwischen dem alten und dem neuen System liegt nämlich in der Form der Maßnahme. Der angebliche Unterschied ist durch die von dem betreffenden Mitgliedstaat angewandte Gesetzgebungstechnik bedingt. Angesichts des Gibraltar-Urteils des Gerichtshofs ist dieser Ansatz alles andere als zufriedenstellend(58).

141. Im Blick zu behalten ist, dass im angefochtenen Urteil die Regelung des Verfalls von Verlusten als das relevante Referenzsystem angesehen wird, weil die Sanierungsklausel eine Ausnahme von dieser Regel darstelle. Nach der vorherigen Regelung des Verfalls von Verlusten war dies nicht der Fall.

142. Ein Vergleich der vorherigen und der neuen Regelung des Verfalls von Verlusten legt die Fehler der auf die Gesetzgebungstechnik abstellenden Begründung offen. Er zeigt, dass die beiden Regelungen die Frage der Einschränkung des Verlustvortrags einfach unter verschiedenen Blickwinkeln angehen.

143. Mit der vorherigen Regelung des Verfalls von Verlusten wurde der Schwerpunkt auf die wirtschaftliche Identität des erworbenen Unternehmens gelegt. Während wirtschaftlich identischen Unternehmen der Verlustvortrag gestattet war, war dies bei solchen, deren wirtschaftliche Identität sich infolge des Anteilseignerwechsels geändert hatte, nicht der Fall. Die Sanierungsklausel war in ihrer Formulierung als ein Beispiel für „wirtschaftliche Identität“ immanenter Bestandteil der vorherigen Regelung des Verfalls von Verlusten selbst(59).

144. Auch wenn die neue Regelung des Verfalls von Verlusten (wie auch die Sanierungsklausel) als präziser anzusehen sein mag, kann ich nicht erkennen, inwieweit die Änderung der Gesetzgebungstechnik – und die erhöhte Genauigkeit der betreffenden Regelungen – für die beihilferechtliche Würdigung von entscheidender Bedeutung sein sollten. Ebenso wie die vorherige Regelung des Verfalls von Verlusten schränkt die (neue) Regelung des Verfalls von Verlusten nämlich die Möglichkeit eines künftigen Abzugs früher entstandener Verluste lediglich in eng definierten Fällen im Zusammenhang mit einem Anteilseignerwechsel ein. Von dieser Ausnahme abgesehen bleibt die Möglichkeit des Verlustvortrags erhalten.

145. Materiell schränkt die Sanierungsklausel daher lediglich den Geltungsbereich der Regelung des Verfalls von Verlusten ein(60). Insoweit ist die Sanierungsklausel untrennbarer Bestandteil der allgemeinen Regelung, nämlich der Verlustvortragsregelung.

146. Von der angewandten Gesetzgebungstechnik abgesehen ist den Prozessakten nichts zu entnehmen, was zur Klärung der Frage beitragen würde, warum nach der zu prüfenden Regelung die Verlustvortragsregelung nicht Bestandteil des Referenzsystems sein sollte.

147. Insoweit ergibt sich im angefochtenen Urteil ein Folgeproblem. Indem es einen engen, auf die Gesetzgebungstechnik abstellenden Ansatz verfolgt und die Regelung des Verfalls von Verlusten aus ihrem breiteren rechtlichen Rahmen herauslöst, vermengt das angefochtene Urteil auch die Schritte eins und zwei der Selektivitätsprüfung. Das Gericht stützte sich nämlich zur Bestimmung des Referenzsystems auf die Vergleichbarkeit von Unternehmen, bei denen ein Anteilseignerwechsel stattfindet. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass das Gericht in seiner Begründung von der Annahme, dass alle Unternehmen, bei denen ein erheblicher Anteilseignerwechsel stattgefunden hat, sich notwendig in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befänden, ausging, anstatt zunächst das Referenzsystem zu ermitteln(61). Die Schlussfolgerung, dass die Verlustvortragsregelung nicht Bestandteil des Referenzsystems sei, lässt sich nämlich nur ziehen, wenn angenommen wird, dass Unternehmen, bei denen ein Anteilseignerwechsel stattfindet, sich in einer vergleichbaren Situation befinden.

148. Daher hat das Gericht meines Erachtens das Referenzsystem fehlerhaft bestimmt. Insbesondere indem es seine Schlussfolgerung auf die angewandte Gesetzgebungstechnik und die Vergleichbarkeit von Unternehmen, bei denen ein erheblicher Anteilseignerwechsel stattgefunden hat, stützte, hat das Gericht das Referenzsystem künstlich dahin begrenzt, dass die Verlustvortragsregelung davon ausgenommen wurde.

149. Aus diesen Gründen ist dem ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes meines Erachtens zu folgen.

150. Abschließend ist zu diesem Punkt darauf hinzuweisen, dass im angefochtenen Urteil die Regelung des Verfalls von Verlusten als Maßstab für die Prüfung der Selektivität der streitigen Maßnahme herangezogen wird (Schritte zwei und drei). Wenn der Gerichtshof dem ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes, wie von mir vorgeschlagen, stattgeben sollte, bedürfte das weitere Vorbringen zur Prüfung der Selektivität in Bezug auf die Schritte zwei und drei keiner Prüfung mehr. Denn die Beurteilung der streitigen Maßnahme hängt letztlich von der Definition des Referenzsystems ab.

151. Gleichwohl werde ich für den Fall, dass der Gerichtshof nicht mit mir übereinstimmen sollte, mit den folgenden Ausführungen auf diese Prüfung eingehen.

3.      Schritt zwei: Vergleich der rechtlichen und tatsächlichen Situation der Unternehmen

a)      Vorbringen der Parteien

152. Mit dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht HBH geltend, dass die Begründung des Gerichts unzureichend oder widersprüchlich sei. Mit dem ersten Unterpunkt des zweiten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes macht sie insbesondere geltend, dass – angesichts dessen, wie das Referenzsystem im angefochtenen Urteil definiert worden sei – das Gericht nicht angemessen erläutert habe, warum die rechtliche und tatsächliche Situation sanierungsbedürftiger Unternehmen mit derjenigen gesunder Unternehmen habe verglichen werden können(62). Mit dem zweiten Unterpunkt wendet sich die Rechtsmittelführerin gegen die Begründung, mit der im angefochtenen Urteil die Sanierungsklausel nicht als potenziell allen Unternehmen offenstehende „allgemeine Maßnahme“ angesehen wurde(63).

153. Die Kommission hält die Begründung des Gerichts für richtig und ausreichend.

154. Mit dem zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes macht HBH einen Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV geltend. Das Gericht habe die (prima facie gegebene) Selektivität der streitigen Maßnahme fehlerhaft beurteilt. Soweit es die Ansicht vertreten habe, dass sanierungsbedürftige, in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen und gesunde Unternehmen im Hinblick auf das Ziel der Steuerregelung in einer vergleichbaren Situation seien, habe das Gericht rechtsfehlerhaft entschieden(64).

155. HBH bringt insbesondere vor, das Gericht habe das Ziel der Regelung des Verfalls von Verlusten fehlerhaft definiert (erster Unterpunkt)(65). Ferner sei die Entscheidung des Gerichts, dass die streitige Maßnahme prima facie selektiv und keine potenziell allen Unternehmen offenstehende „allgemeine Maßnahme“ sei, rechtsfehlerhaft (zweiter Unterpunkt)(66), und zwar im Wesentlichen deshalb, weil das angefochtene Urteil von der Rechtsprechung des Gerichts im Urteil Autogrill(67) abweiche.

156. Die Kommission sieht im angefochtenen Urteil keinen Fehler in Bezug auf die Beurteilung der Selektivität.

157. Mit ihrem Hauptvorbringen macht die Kommission indes geltend, dass der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes unzulässig sei. Zum einen beträfen die mit dem ersten Unterpunkt vorgetragenen Argumente die Feststellung und Würdigung von Tatsachen. Zum anderen gehe es im zweiten Unterpunkt um eine Frage, die nicht Gegenstand des Rechtsstreits im ersten Rechtszug gewesen sei. Mit der Zulassung des Vorbringens der Rechtsmittelführerin zur Frage der Qualifizierung der streitigen Maßnahme als allgemeine Maßnahme habe das Gericht daher ultra petita entschieden(68).

b)      Würdigung

1)      Vorbringen der Rechtsmittelführerin zur Definition des Ziels des Referenzsystems

158. Zum einen geht es in dem im ersten Unterpunkt des zweiten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes enthaltenen Vorbringen von HBH zu einer unzureichenden oder widersprüchlichen Begründung um einen Punkt, der vom Gericht aus Gründen der Vollständigkeit geprüft wurde. Es beruht auch auf der gleichen (unzutreffenden) Prämisse wie der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, nämlich dass das Gericht sowohl die Verlustvortragsregelung als auch die Regelung des Verfalls von Verlusten als das Referenzsystem angesehen habe. Wie oben ausgeführt, stellte das Gericht im angefochtenen Urteil fest, dass die Regelung des Verfalls von Verlusten das relevante Referenzsystem darstelle(69). Dementsprechend ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.

159. Zum anderen muss auch das Vorbringen der Rechtsmittelführerin im ersten Unterpunkt des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes zu einem Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV scheitern. Dieses Vorbringen ist zum Teil unzulässig, und zum Teil geht es ins Leere.

160. Erstens wird mit diesem Vorbringen die (unzutreffende) Ansicht wiederholt, dass das Gericht die Verlustvortragsregelung und die Regelung des Verfalls von Verlusten zusammen als das Referenzsystem ansehe. Wie bereits erläutert, beruht diese Ansicht auf einem Fehlverständnis des angefochtenen Urteils.

161. Zweitens stellt die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen die Feststellung des Gerichts in Frage, dass die Regelung des Verfalls von Verlusten gewährleisten solle, dass bei einem erheblichen Anteilseignerwechsel eines Unternehmens, das Verluste erwirtschaftet habe, kein Verlustvortrag stattfinde(70). Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin soll diese Regelung lediglich Missbrauch bekämpfen, indem Mantelkäufe unterbunden würden.

162. Sicherlich kann jede steuerliche Regelung eine Vielzahl verschiedener Ziele verfolgen. Zu diesen Zielen können insbesondere auch die Erzielung von Einnahmen für den staatlichen Haushalt, die Lenkung des Verhaltens der Verbraucher und Unternehmen und die Bekämpfung von Problemen, wie etwa der Steuerumgehung, gehören. Eine steuerliche Regelung kann auch dazu dienen, den Folgen eines wirtschaftlichen Abschwungs entgegenzuwirken.

163. Ebenso wie die Bestimmung des Referenzsystems ist die Vergleichbarkeit von Steuerpflichtigen im Hinblick auf das mit der steuerlichen Regelung verfolgte Ziel im Rahmen von Schritt zwei der Selektivitätsprüfung meines Erachtens eine Rechtsfrage. Diese Frage betrifft die rechtliche Qualifizierung der relevanten nationalen Bestimmungen nach den Regeln des Beihilferechts der Union(71).

164. Vorliegend begehrt die Rechtsmittelführerin vom Gerichtshof jedoch, das Ziel der Regelung des Verfalls von Verlusten (neu) zu bestimmen. Dies ist meines Erachtens kein Punkt, für den der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren zuständig ist. Ich stimme mit der Kommission darin überein, dass die Zuständigkeit des Gerichtshofs sich nicht auf eine Neubeurteilung des Ziels des Referenzsystems erstreckt. Dies ist eine reine Tatsachenfrage, die die Beurteilung des Inhalts des nationalen Rechts betrifft. Diese Fragen sind einer Überprüfung nicht zugänglich, es sei denn, aus den Prozessakten ergibt sich eine Verfälschung des nationalen Rechts. Dies ist hier nicht der Fall.

165. Schließlich und drittens wendet sich HBH mit dem ersten Unterpunkt des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes auch gegen eine Feststellung, die das Gericht aus Gründen der Vollständigkeit getroffen hat. Im angefochtenen Urteil prüfte das Gericht nämlich auch die von HBH vorgetragene Hypothese, dass das maßgebliche Ziel des Referenzsystems darin bestehe, Missbräuche von Verlustvorträgen zu verhindern, indem der Kauf von „Mantelunternehmen“ ausgeschlossen werde. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass sich selbst unter dieser Hypothese gesunde und in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen, bei denen ein erheblicher Anteilseignerwechsel stattgefunden hat, in einer vergleichbaren Situation befänden(72).

166. Da die Rechtsmittelführerin nicht erfolgreich dargetan hat, dass das Gericht in seiner hauptsächlichen Beurteilung rechtsfehlerhaft entschieden hat, geht ihr Vorbringen zu dieser alternativen Beurteilung ins Leere.

2)      Vorbringen der Rechtsmittelführerin zu der Schlussfolgerung des Gerichts, dass die Sanierungsklausel keine allgemeine Maßnahme sei

167. Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zu der Schlussfolgerung des Gerichts, dass die Sanierungsklausel keine potenziell allen Unternehmen offenstehende „allgemeine Maßnahme“ sei, lässt sich rasch abtun.

168. Zunächst wird im Hinblick auf den zweiten Unterpunkt des zweiten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes (die Frage der unzureichenden Begründung) im angefochtenen Urteil knapp, aber klar dargelegt, warum die streitige Maßnahme keine allgemeine Maßnahme sei, die potenziell von allen Unternehmen in Anspruch genommen werden könne: Sie betreffe lediglich eine in einer bestimmten Situation befindliche Gruppe von Unternehmen, und zwar Unternehmen in Schwierigkeiten(73).

169. Grundlegender aber hat, was den zweiten Unterpunkt des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes angeht, das Gericht die einschlägige Rechtsprechung richtig herangezogen.

170. Nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens in der vorliegenden Rechtssache wurde das Urteil des Gerichts, auf das die Rechtsmittelführerin sich hier stützt, im Rechtsmittelverfahren aufgehoben(74). Entgegen dem Vorbringen von HBH ist demnach der Rechtsprechung nicht zu entnehmen, dass Selektivität nur vorliegt, wenn die beanstandete Maßnahme nur von einer bestimmten Gruppe von Unternehmen in Anspruch genommen werden kann.

171. Im Urteil World Duty Free hat der Gerichtshof dies bestätigt. Er entschied, dass die Selektivität einer steuerlichen Maßnahme nicht notwendig voraussetzt, dass sie eine besondere Gruppe von Unternehmen betrifft, die aufgrund besonderer und gemeinsamer Eigenarten unterschieden werden können. Vielmehr ist zur Bestimmung der Selektivität einer Maßnahme im Wesentlichen zu prüfen, ob der Ausschluss bestimmter Wirtschaftsteilnehmer von der Begünstigung durch einen Steuervorteil, der sich aus einer von der allgemeinen Steuerregelung abweichenden Maßnahme ergibt, eine diskriminierende Behandlung ihnen gegenüber darstellt(75).

172. Dies ist die vom Gericht im angefochtenen Urteil angewandte Prüfungsmethode(76). Daher kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, dass im angefochtenen Urteil die einschlägige Rechtsprechung zur Prüfung der Selektivität fehlerhaft herangezogen worden sei.

173. Aus den vorstehenden Gründen komme ich zu dem Ergebnis, dass der zweite Teil des ersten und des zweiten Rechtsmittelgrundes als teils unzulässig und teils unbegründet zurückweisen ist(77).

4.      Schritt drei: Prüfung des Bestehens einer dem Steuersystem immanenten Rechtfertigung

a)      Vorbringen der Parteien

174. Mit dem dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin geltend, dass das Gericht die Gründe, aus denen es das von der Rechtsmittelführerin im ersten Rechtszug vorgetragene Vorbringen zur Rechtfertigung der Sanierungsklausel zurückgewiesen habe, nicht hinreichend erläutere, nämlich dass die streitige Maßnahme die Wahrung des Grundsatzes der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sicherstelle(78).

175. Die Kommission erkennt in der Begründung des Gerichts keinen Fehler.

176. Mit dem dritten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes macht HBH geltend, das Gericht habe Art. 107 Abs. 1 AEUV dadurch falsch ausgelegt, dass es davon ausgegangen sei, dass die Sanierungsklausel die Sanierung in Schwierigkeiten befindlicher Unternehmen fördern solle und sie daher ein außerhalb des Steuersystems stehendes Ziel verfolge(79).

177. Die Kommission ist der Ansicht, das Gericht habe das Ziel der streitigen Maßnahme zutreffend aufgrund seiner ausschließlichen Zuständigkeit für die Feststellung der Tatsachen ermittelt. Zum Vorbringen zum Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit macht die Kommission geltend, dieses gehe ins Leere, hilfsweise, es sei unbegründet.

b)      Würdigung

178. Mit dem dritten Teil des ersten und des zweiten Rechtsmittelgrundes wendet sich die Rechtsmittelführerin insbesondere gegen die Schlussfolgerung des Gerichts, dass das Ziel der Sanierungsklausel kein dem Steuersystem immanentes Ziel sei, nämlich sicherzustellen, dass die Besteuerung auf der Grundlage der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen erfolge.

179. Erstens ist das Vorbringen, dass das Gericht durch eine unzutreffende Ermittlung des Ziels der streitigen Maßnahme rechtsfehlerhaft entschieden habe, als unzulässig zurückzuweisen. Ebenso wie die Ermittlung des Ziels des Referenzsystems ist die Ermittlung des Ziels der Sanierungsklausel meines Erachtens eine Tatsachenfrage(80). Vorbehaltlich einer offensichtlichen Verfälschung ist der Gerichtshof nicht dafür zuständig, diese Feststellungen zu überprüfen. Im vorliegenden Fall ist eine Verfälschung aus den Prozessakten nicht ersichtlich.

180. Zweitens geht das übrige Vorbringen der Rechtsmittelführerin ins Leere. Das Vorbringen zu den angeblichen Fehlern der Begründung im angefochtenen Urteil und zu Fehlern bei der Beurteilung des Vorbringens von HBH, die Sanierungsklausel solle sicherstellen, dass die Besteuerung auf der Grundlage der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen erfolge, bezieht sich nämlich auf einen Punkt, den das Gericht aus Gründen der Vollständigkeit geprüft hat.

181. Mit anderen Worten stimme ich mit der Kommission darin überein, dass das Vorbringen der Rechtsmittelführerin im dritten Teil des ersten und des zweiten Rechtsmittelgrundes teils unzulässig ist und teils ins Leere geht.

182. Im Ergebnis stelle ich fest, dass es wahrscheinlich besonders schwierig ist, eine steuerliche Maßnahme in diesem dritten Schritt der Selektivitätsprüfung zu retten.

183. Der Gerichtshof verfolgt nämlich in Bezug auf die Rechtfertigung einen strikten Ansatz. Nur eine auf den Grund- oder Leitprinzipien des Steuersystems beruhende Rechtfertigung ist zulässig. Das heißt, dass eine Maßnahme, deren Selektivität a priori festgestellt wird, nur durch Gründe im Zusammenhang mit der Natur oder dem inneren Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt sein kann. Insoweit unterscheidet der Gerichtshof zwischen den mit einer bestimmten Steuerregelung verfolgten Zielen, die außerhalb dieser Regelung liegen, einerseits und den dem Steuersystem selbst immanenten Mechanismen, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind, andererseits(81).

184. So klar diese Unterscheidung in der Theorie auch erscheinen mag, die Realität ist insoweit weitaus komplexer.

185. Erstens geht diese Unterscheidung davon aus, dass nur Gründe im Zusammenhang mit der Erhaltung der Steuerbemessungsgrundlage (d. h. der Notwendigkeit, Einnahmen für den staatlichen Haushalt zu gewährleisten) zulässigerweise geltend gemacht werden können. Dies wird durch die von der Kommission angeführten Beispiele verdeutlicht, wonach z. B. die Notwendigkeit der Bekämpfung von Steuerhinterziehung, die Notwendigkeit der Beachtung besonderer Rechnungslegungsvorschriften, die Handhabbarkeit für die Verwaltung, der Grundsatz der Steuerneutralität sowie die Notwendigkeit der Vermeidung von Doppelbesteuerung Grundlage für eine mögliche Rechtfertigung zur Rettung einer steuerlichen Maßnahme sein könnten(82). Ich bin jedoch nicht davon überzeugt, dass sich diese Gründe von anderen Zielen, die der Staat mit der Besteuerung verfolgt, sinnvoll trennen lassen. Es sollte nicht übersehen werden, dass die Besteuerung heutzutage auch ein Mittel ist, das der Staat zur Verhaltenslenkung einsetzt. Mit anderen Worten sind Gründe, die nach der Klassifizierung des Gerichtshofs dem Steuersystem immanent sind, untrennbar mit Zielen in einem breiteren gesellschaftlichen Kontext verbunden. Ich denke insbesondere an Ziele wie die Notwendigkeit des Erhalts von Arbeitsplätzen, des Schutzes der Umwelt und der Gewährleistung der regionalen Entwicklung oder der Gleichbehandlung von Steuerpflichtigen.

186. Zweitens und noch wichtiger führt jede Steuerregelung, für die festgestellt worden ist, dass sie bestimmten Unternehmen (a priori) einen selektiven Vorteil gewährt, zu einer Aushöhlung der Steuerbemessungsgrundlage, denn ein selektiver Steuervorteil verringert die steuerliche Belastung bestimmter Unternehmen.

187. Es überrascht daher nicht, dass der Gerichtshof von Mitgliedstaaten im Rahmen des dritten Schritts der Selektivitätsprüfung geltend gemachte Gründe nach meiner Kenntnis noch nie anerkannt hat. Dies könnte darauf schließen lassen, dass wir es hier mit einer de facto unwiderleglichen Vermutung dafür zu tun haben, dass steuerliche Maßnahmen, für die festgestellt worden ist, dass sie a priori selektiv sind, in der Tat selektiv sind.

C.      Folgen der Würdigung

188. Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs hebt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf, wenn das Rechtsmittel begründet ist. Ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, so kann ihn der Gerichtshof selbst endgültig entscheiden. Er kann die Sache auch an das Gericht zurückverweisen.

189. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass dem ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zu folgen ist. Wenn der Gerichtshof mit meiner Beurteilung übereinstimmen sollte, würde ich ihm empfehlen, den Rechtsstreit endgültig zu entscheiden.

190. Der bei der Ermittlung des Referenzsystems festgestellte Rechtsfehler führt dazu, dass das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben ist, als die Klage der Rechtsmittelführerin mit ihm als unbegründet zurückgewiesen wurde. Denn die Prüfung der Selektivität der streitigen Maßnahme wird durch diesen Rechtsfehler verfälscht. Dieser Rechtsfehler hat dazu geführt, dass das Gericht die von der Kommission vorgenommene Definition des Referenzsystems im streitigen Beschluss als zutreffend bestätigt hat. Die Selektivität der Sanierungsklausel ist daher anhand eines Maßstabs (der Regelung des Verfalls von Verlusten) beurteilt worden, den ich für rechtsfehlerhaft befunden habe. Mit anderen Worten wird die Selektivitätsprüfung in dem streitigen Beschluss auf eine fehlerhafte Prämisse gestützt. Deshalb muss dieser Beschluss ebenfalls für nichtig erklärt werden.

191. Sollte der Gerichtshof stattdessen mit meiner Beurteilung dieser Frage nicht übereinstimmen, wäre das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

D.      Kosten

192. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

193. Sollte der Gerichtshof meiner Beurteilung des Rechtsmittels folgen, wäre nach den Art. 137, 138 und 184 der Verfahrensordnung die Kommission zur Tragung der Kosten des vorliegenden Verfahrens in beiden Rechtszügen zu verurteilen.

V.      Ergebnis

194. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

–        das Anschlussrechtsmittel der Kommission zurückzuweisen;

–        das Urteil des Gerichts vom 4. Februar 2016, Heitkamp BauHolding/Kommission (T‑287/11), insoweit aufzuheben, als mit ihm die Klage als unbegründet abgewiesen wurde;

–        den Beschluss 2011/527/EU der Kommission vom 26. Januar 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel“ für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Urteil vom 4. Februar 2016, Heitkamp BauHolding/Kommission (T‑287/11, EU:T:2016:60; im Folgenden: angefochtenes Urteil).


3      Beschluss vom 26. Januar 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel“ (ABl. 2011, L 235, S. 26, im Folgenden: streitiger Beschluss).


4      Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17).


5      Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981).


6      Urteile vom 6. September 2006, Portugal/Kommission (C‑88/03, EU:C:2006:511, Rn. 56), und vom 21. Dezember 2016, Kommission/Hansestadt Lübeck (C‑524/14 P, EU:C:2016:971, Rn. 55).


7      Rn. 50 bis 79 des angefochtenen Urteils.


8      Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17).


9      Ich weise darauf hin, dass das Gericht in letzter Zeit die Ansicht vertreten hat, dass eine Entscheidung der Kommission, die zum Teil das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe verneint und zum Teil staatliche Beihilfen für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt, jedoch nicht ihre Rückforderung anordnet, als Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV anzusehen sei. Vgl. Urteile vom 15. September 2016, Ferracci/Kommission (T‑219/13, EU:T:2016:485, Rn. 50 bis 55) und Scuola Elementare Maria Montessori/Kommission (T‑220/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:484). Über diese Frage hat der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren jedoch noch nicht entschieden (Rechtssachen Scuola Elementare Maria Montessori/Kommission, C‑622/16, Kommission/Scuola Elementare Maria Montessori, C‑623/16, und Kommission/Ferracci, C‑624/16, Verfahren anhängig).


10      Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17, S. 238 und 239).


11      Insbesondere Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Unión de Pequeños Agricultores/Rat (C‑50/00 P, EU:C:2002:197, Nrn. 59 ff.) und Urteil vom 3. Mai 2002, Jégo-Quéré/Kommission (T‑177/01, EU:T:2002:112, Rn. 49). Dagegen hat sich der Gesetzgeber gegenüber einer möglichen Lockerung der Voraussetzungen der Klagebefugnis privater Kläger eher offener gezeigt. Diese Offenheit wird durch die Einführung der Kategorie der „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ in Art. 263 Abs. 4 des Vertrags von Lissabon bescheinigt.


12      Vgl. unter vielen Urteile vom 2. Februar 1988, Kwekerij van der Koog u. a./Kommission (67/85, 68/85 und 70/85, EU:C:1988:38, Rn. 15), vom 19. Oktober 2000, Italien und Sardegna Lines/Kommission (C‑15/98 und C‑105/99, EU:C:2000:570, Rn. 33), und vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission (C‑274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 49).


13      Urteil vom 22. November 2001, Antillean Rice Mills/Rat (C‑451/98, EU:C:2001:622, Rn. 52).


14      Urteile vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission (C‑132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 59 bis 62), und vom 27. Februar 2014, Stichting Woonlinie u. a./Kommission (C‑133/12 P, EU:C:2014:105, Rn. 46 bis 49).


15      Urteil vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission (C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, EU:C:2011:368, Rn. 53).


16      Vgl. z. B. Urteile vom 28. Januar 1986, Cofaz u. a./Kommission (169/84, EU:C:1986:42, Rn. 25), vom 19. Mai 1993, Cook/Kommission (C‑198/91, EU:C:1993:197, Rn. 23), vom 13. Dezember 2005, Kommission/Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (C‑78/03 P, EU:C:2005:761, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 9. Juli 2009, 3F (C‑319/07 P, EU:C:2009:435, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).


17      Rn. 66 bis 79 des angefochtenen Urteils.


18      Urteil vom 19. Oktober 2000, Italien und Sardegna Lines/Kommission (C‑15/98 und C‑105/99, EU:C:2000:570).


19      Urteil vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission (C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, EU:C:2011:368).


20      Urteile vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission (C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, EU:C:2011:368, Rn. 53), und vom 19. Oktober 2000, Italien und Sardegna Lines/Kommission (C‑15/98 und C‑105/99, EU:C:2000:570, Rn. 33 und 34).


21      Urteil vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission (C‑182/03 und C‑217/03, EU:C:2006:416).


22      Urteil vom 17. September 2009, Kommission/Koninklijke FrieslandCampina (C‑519/07 P, EU:C:2009:556).


23      Urteile vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission (C‑182/03 und C‑217/03, EU:C:2006:416, Rn. 60 bis 63), und vom 17. September 2009, Kommission/Koninklijke FrieslandCampina (C‑519/07 P, EU:C:2009:556, Rn. 56 bis 58). Vgl. auch Urteil vom 17. Januar 1985, Piraiki-Patraiki u. a./Kommission (11/82, EU:C:1985:18, Rn. 19).


24      Urteil vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission (C‑132/12 P, EU:C:2014:100).


25      Urteil vom 27. Februar 2014, Stichting Woonlinie u. a./Kommission (C‑133/12 P, EU:C:2014:105).


26      Urteile vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission (C‑132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 59 bis 62), und vom 27. Februar 2014, Stichting Woonlinie u. a./Kommission (C‑133/12 P, EU:C:2014:105, Rn. 46 bis 49).


27      Am Rande möchte ich auch darauf hinweisen, dass der Sachverhalt des Urteils vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission (C‑274/12 P, EU:C:2013:852), sich von der vorliegenden Rechtssache ebenfalls grundlegend unterscheidet. In jener Rechtssache hatte die Klägerin auf der Grundlage der nationalen Maßnahme, die später von der Kommission für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wurde, Investitionen getätigt. Sie hatte daher aus der beanstandeten nationalen Maßnahme einen Vorteil gezogen. An dieser Stelle enden indes die Ähnlichkeiten. Die von der Klägerin getätigten Investitionen waren vor dem einschlägigen Stichtag realisiert worden: Die Entscheidung der Kommission ließ insbesondere zu, dass die beanstandete nationale Maßnahme auf Investitionen weiterhin Anwendung fand, die vor der Entscheidung zur Eröffnung einer förmlichen Prüfung realisiert wurden. Vgl. hierzu Rn. 47 bis 50. Vgl. auch Beschluss vom 21. März 2012, Telefónica/Kommission (T‑228/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:140, Rn. 36 bis 40).


28      Daher ist der Einwand der Kommission, die Rechtsmittelführerin habe im Verfahren vor dem Gericht nicht vorgetragen, eine Beihilfe erhalten zu haben, hier unerheblich.


29      Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).


30      Nicht ganz einheitlich ist die Rechtsprechung in der Frage, ob die Vergleichbarkeit der Unternehmen im Hinblick auf das Ziel der steuerlichen Regelung in ihrer Gesamtheit oder das der beanstandeten nationalen Maßnahme festgestellt werden soll. Beispielsweise entschied der Gerichtshof im Urteil Adria-Wien Pipeline, dass Unternehmen im Hinblick auf das mit der betreffenden Maßnahme verfolgte Ziel zu vergleichen waren (Urteil vom 8. November 2001, Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke, C‑143/99, EU:C:2001:598, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dagegen hat der Gerichtshof in jüngerer Zeit im Urteil World Duty Free entschieden, dass Unternehmen im Hinblick auf das mit der Referenzregelung verfolgte Ziel zu vergleichen sind (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).


31      Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981).


32      Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 18. Juli 2013, P (C‑6/12, EU:C:2013:525, Rn. 19).


33      Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).


34      Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 57 und 67).


35      Zu diesen Schwierigkeiten vgl. z. B. Peiffert, O., „Comparaison n’est pas raison: Pour une clarification du critère de sélectivité d’une aide d’État“, Concurrences, Nr. 3, 2017, S. 52 (60).


36      Für eine andere Ansicht zur Bedeutung der Bestimmung des allgemeinen Steuersystems vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache ANGED (C‑233/16, EU:C:2017:852, Nr. 88).


37      Urteile vom 8. September 2011, Paint Graphos (C‑78/08 bis C‑80/08, EU:C:2011:550, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 18. Juli 2013, P (C‑6/12, EU:C:2013:525, Rn. 19), und vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 57).


38      Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, C/2016/2946 (ABl. 2016, C 262, S. 1), abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=uriserv:OJ.C_.2016.262.01.0001.01.ENG&toc=OJ:C:2016:262:TOC#ntc205-C_2016262EN.01000101-E0205, Rn. 133 und 134.


39      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission (C‑182/03 und C‑217/03, EU:C:2006:416, Rn. 95, 104, 107 und 122), vom 6. September 2006, Portugal/Kommission (C‑88/03, EU:C:2006:511, Rn. 56), vom 17. September 2009, Kommission/Koninklijke FrieslandCampina (C‑519/07 P, EU:C:2009:556, Rn. 2 bis 7), und vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 68).


40      Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich (C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 92 und 93).


41      Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 22 und 67 bis 69).


42      Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich (C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 92 bis 95).


43      Rn. 103 bis 106 des angefochtenen Urteils.


44      Rn. 107 bis 109 des angefochtenen Urteils.


45      Rn. 103 bis 106 des angefochtenen Urteils.


46      Rn. 104 des angefochtenen Urteils.


47      Vgl. z. B. Urteile vom 24. Oktober 2002, Aéroports de Paris/Kommission (C‑82/01 P, EU:C:2002:617, Rn. 63), vom 21. Dezember 2011, A2A/Kommission (C‑318/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:856, Rn. 125), und vom 3. April 2014, Frankreich/Kommission (C‑559/12 P, EU:C:2014:217, Rn. 78 und 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).


48      Vgl. unter vielen Urteile vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission (C‑185/95 P, EU:C:1998:608, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 3. April 2014, Frankreich/Kommission (C‑559/12 P, EU:C:2014:217, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).


49      Urteil vom 3. April 2014, Frankreich/Kommission (C‑559/12 P, EU:C:2014:217, Rn. 79 und 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).


50      Ähnlich Urteil vom 18. Juli 2013, P (C‑6/12, EU:C:2013:525, Rn. 13), wo der Gerichtshof die Ansicht des vorlegenden Gerichts zu alternativen Möglichkeiten für die Bestimmung des Referenzsystems wiedergibt.


51      Rn. 106 des angefochtenen Urteils.


52      Rn. 104 des angefochtenen Urteils.


53      Rn. 105 des angefochtenen Urteils.


54      Rn. 107 des angefochtenen Urteils.


55      21. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses.


56      22. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses.


57      23. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses.


58      Die Beurteilung der Selektivität darf nämlich nicht von der Form abhängen. Vgl. ähnlich Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich (C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 92 und 93).


59      Siehe oben, Nr. 9.


60      Hier ist ferner der Hinweis angebracht, dass die Sanierungsklausel nicht die einzige Bestimmung ist, die den Geltungsbereich der Regelung des Verfalls von Verlusten einschränkt. Im Dezember 2009 wurden zwei neue Ausnahmen von dieser Regel eingeführt. Zum einen sollten für alle Umstrukturierungen, die ausschließlich innerhalb eines Konzerns vorgenommen wurden, an dessen Spitze nur eine Person oder Körperschaft stand, die 100 % der Anteile hielt, die Verlustvorträge erhalten bleiben. Zum anderen galt dies auch, soweit die Verluste beim Erwerb schädlicher Beteiligungen stillen Reserven des Betriebsvermögens der Körperschaft entsprachen.


61      Siehe oben, Nr. 133 zur Begründung des Gerichts.


62      Rn. 133 und 134 des angefochtenen Urteils.


63      Rn. 141 des angefochtenen Urteils.


64      Rn. 126 bis 133 des angefochtenen Urteils.


65      Rn. 128 bis 131 des angefochtenen Urteils.


66      Rn. 141 des angefochtenen Urteils.


67      Urteil vom 7. November 2014, Autogrill España/Kommission (T‑219/10, EU:T:2014:939).


68      Rn. 122 des angefochtenen Urteils.


69      Siehe oben, Nrn. 131 ff.


70      Rn. 128 des angefochtenen Urteils.


71      Siehe oben, Nr. 118.


72      Rn. 132 bis 134 des angefochtenen Urteils.


73      Rn. 141 des angefochtenen Urteils.


74      Urteile vom 7. November 2014, Autogrill España/Kommission (T‑219/10, EU:T:2014:939), und vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981).


75      Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 69 bis 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).


76      Rn. 140 und 141 des angefochtenen Urteils.


77      Da der zweite Unterpunkt des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes unbegründet ist, bedarf das Vorbringen der Kommission, das Gericht habe ultra petita entschieden, keiner Erörterung.


78      Rn. 165 und 166 des angefochtenen Urteils.


79      Rn. 158 bis 160 und 164 bis 170 des angefochtenen Urteils.


80      Siehe oben, Nr.164.


81      Vgl. z. B. Urteile vom 6. September 2006, Portugal/Kommission (C‑88/03, EU:C:2006:511, Rn. 81 und 82), vom 8. September 2011, Paint Graphos (C‑78/08 bis C‑80/08, EU:C:2011:550, Rn. 69), vom 9. Oktober 2014, Ministerio de Defensa und Navantia (C‑522/13, EU:C:2014:2262, Rn. 42), und vom 18. Juli 2013, P (C‑6/12, EU:C:2013:525, Rn. 29).


82      Zu diesen und weiteren Beispielen vgl. die Bekanntmachung der Kommission, oben in Fn. 38 angeführt, Rn. 138. Dem Urteil des Gerichtshofs Paint Graphos ist ferner zu entnehmen, dass die Vermeidung der Doppelbesteuerung als ein dem Steuersystem immanenter Grund angesehen werden kann (Urteil vom 8. September 2011, Paint Graphos, C‑78/08 bis C‑80/08, EU:C:2011:550, Rn. 71).